Menschen erlernen eine Vielzahl von Erlebens- und Verhaltensweisen durch Beobachtung von Personen, die als Vorbilder (Modelle) gelten. Ob ein Modell viel oder wenig Aufmerksamkeit erhält, hängt von den Persönlichkeitsmerkmalen, der Art der Beziehung zwischen Modell und Beobachter:in sowie der Situation ab. Innerhalb der Psychologie gibt es verschiedene Theorien des Modelllernens – die umfangreichste und empirisch am besten abgesicherte Theorie geht auf Albert Bandura zurück. Bandura unterteilt das Lernen in zwei Phasen: die Aneignungsphase und die Ausführungsphase.
Bei der Aneignungsphase geht es um das Erkennen und Sammeln. Dabei speichert der/die Beobachter:in die Situation im Gehirn. In der Ausführungsphase wird das gesehene oder gehörte Verhalten eingeübt. Dabei greift das Gehirn auf die dafür relevanten Prozesse zurück. Verhalten und Handlungen werden oft mehrfach geübt. Die beobachtende Person gleicht dabei immer wieder die abgespeicherte Situation mit der vorhandenen Situation ab, um das Verhalten anzupassen und zu verbessern.
Zusätzlich zu diesen grundlegenden Phasen betont Bandura die Bedeutung der Motivation und der Selbstwirksamkeit. Ein Beobachter ist eher geneigt, ein Verhalten nachzuahmen, wenn er glaubt, dass er es erfolgreich ausführen kann (Selbstwirksamkeit) und wenn er dafür positive Verstärkung erwartet. Motivierende Faktoren können sowohl externe Belohnungen als auch interne Zufriedenheit und Anerkennung sein.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Modelllernens ist die Rolle der Aufmerksamkeit. Nur wenn der Beobachter dem Modell ausreichend Aufmerksamkeit schenkt, kann er die relevanten Verhaltensweisen und deren Konsequenzen wahrnehmen und speichern. Die Fähigkeit, aufmerksam zu sein, kann durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden, wie die Auffälligkeit des Modells, die Relevanz des Verhaltens für den Beobachter und die Komplexität der Situation.
Banduras Theorie des Modelllernens hat weitreichende Anwendungen in verschiedenen Bereichen wie Erziehung, Therapie, und Medien. In der Erziehung kann bewusstes Vorbildverhalten von Lehrkräften und Eltern dazu beitragen, erwünschte Verhaltensweisen bei Kindern zu fördern. In der Therapie wird Modelllernen genutzt, um Klienten neue, adaptive Verhaltensweisen zu vermitteln. In den Medien wird oft diskutiert, wie das Verhalten von Charakteren in Filmen und Spielen das Verhalten der Zuschauer beeinflusst.
Die Forschung zeigt, dass nicht nur direktes Beobachten von realen Personen, sondern auch das Beobachten von Modellen in Büchern, Filmen oder durch digitale Medien effektiv sein kann. Dies hat weitreichende Implikationen für die Art und Weise, wie Informationen und Verhaltensweisen in unserer modernen, medienzentrierten Gesellschaft vermittelt werden.
Banduras Konzept des Modelllernens unterstreicht auch die Bedeutung der sozialen Umgebung für den Lernprozess. Menschen sind soziale Wesen, und viel von dem, was sie lernen, geschieht in Interaktion mit anderen. Dies bedeutet, dass die Qualität und Art der sozialen Interaktionen, die Menschen haben, einen erheblichen Einfluss darauf haben kann, was und wie sie lernen.
Abschließend lässt sich sagen, dass Modelllernen ein komplexer und vielschichtiger Prozess ist, der weit über einfaches Nachahmen hinausgeht. Es umfasst kognitive, motivationale und soziale Komponenten und spielt eine entscheidende Rolle in der Entwicklung von Verhalten und Fähigkeiten. Die Theorie von Albert Bandura bietet einen tiefen Einblick in diese Prozesse und bleibt eine zentrale Grundlage in der modernen Lern- und Verhaltenspsychologie. (vgl. Hobmaier Hermann et al., 2019, S.257-266).